Rückwärts voraus

Rückwärtsfahrend sitze ich im Metronom auf dem Weg nach Hause, zu meinen Eltern. Ein komisches Gefühl, dieses rückwärtsfahren, Hamburg sozusagen aus immer größer werdener Ferne zu betrachten. Und natürlich eine optimale Symbolik, um rückblickend auf die letzten Wochen und Monate zu schauen – um gleich die Fragen „Na, wie geht’s der MUT Academy so?“ und „Sag mal, was macht ihr eigentlich den ganzen Tag so?“ am Abendbrottisch beantworten zu können.

Tja, wie geht’s der MUT Academy? (Also: wie geht es den Jugendlichen, den Schulen, den ehrenamtlichen MUTivator:innen, den Betrieben, den Förderern, dem TEAM?) Was haben wir so gemacht, in den letzten Tagen, Wochen und Monaten?

Fangen wir an mit einer nüchternen Schnellzusammenfassung: Im November 2020 ging es wieder los mit Lockdown; im Januar wurden die Hamburger Schulen geschlossen, sie sollten erst Ende Mai wieder ihre Tore öffnen.

Die Schulbehörde sagte die ESA Prüfungen nun zum zweiten mal in Folge ab; MSA und Abitur Prüfungen fanden hingegen statt. (jetzt mal weniger nüchtern: Gut oder schlecht für unsere Jugendlichen? Es gibt Argumente für beide Seiten, auch unsere MUTis sind hier geteilter Meinung. Aber: die ausbleibende Debatte in der Öffentlichkeit zu diesem Thema spricht aber für sich und zeigt das niedrige gesellschaftliche Interesse an der Schülerschaft, um dessen Schulabschluss es hier geht.) Nun gut, weiter im Text: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt kam zum Erliegen: Ausbildungsmessen, Praktika und Probetage fielen aus. Betriebe hatten andere Sorgen, als Vorstellungsgespräche durchzuführen. Das Frühjahr ist normalerweise die Hochphase der MUT Academy: In der Stufe 1 unseres Programms werden 9. Klässler in fünftägigen MUT Camps auf die anstehenden mündlichen Prüfungen vorbereitet. Meine Assoziationen zu so einem Camp: viel, laut, voll, wild, lachen, Glück, Effizienz, Konzentration, Energy Drinks, Jugendherbergsluft, Fußball, Teambriefings, Deo-Geruch, Obst-und Gemüseplatten, Probepräsentationen, Nachwanderung, Sonne, Wut, Angst, Liebe, Stolz. Achja: Mut. Das alles (und wirklich noch sehr, sehr viel mehr) konnte nicht stattfinden. Das erste Jahr in der Geschichte der MUT Academy ohne MUT Camps zur Prüfungsvorbereitung – nicht nur der Lockdown, auch die abgesagten Prüfungen verhinderten all das. Die 9. Klässler haben wir trotzdem erreicht – mehr dazu später.

Das Frühjahr ist nicht nur die Hochphase für 9. Klässler – es ist auch für unsere 10. Klässler in der Stufe 2 unseres Programms. In normalen Zeiten finden wöchentliche BewerbungsMUTwochs (yes, i know), Teambuildings, Bewerbungsmarathons, Einzelgespräche UND ein MUT Camp zum Bewerbungtraining statt. Die Bilder und Assoziationen für diese Phase sind zu vielschichtig, um sie in einzelne Wörtern festzuhalten, versuchen wir es mit Filmen: The fast and the furious, Das A-Team, Scary Movie, Catch me if you can, Harry Potter: Der Feuerkelch, … . Und auch hier: nichts ging wie in normalen Zeiten. Jetzt also (endlich) zu der Frage: was macht ihr denn jetzt aber dann die ganze Zeit? Für unsere 9. Klässler haben wir ein komplett neues Programmelement erschaffen: die MUT Tage Zukunftswerkstatt. 2 Tage digitales Programm, immer zwei Schulen parallel, jeweils rund 20 Jugendlichen eingeschaltet über Zoom. Inhaltlich gings ums MUT machen: Träume für die eigene Zukunft entwickeln, den bisherigen Lebenslauf reflektieren, konkrete Schritte zu einem gesteckten Ziel festlegen, Praktika suchen. 120 Jugendliche aus 11 Schulen erreichten wir damit – und alle waren glücklich und mutig. Hier ein Statement von einer Teilnehmerin.

Und für die 10er wurde ebenfalls digitalisiert: Die Bewerbungsnachmittage (MUTwoch) fanden online statt, MUTivator:innen aus ganz Deutschland schalteten sich mittwochs und Donnerstag dazu, um in 1:1 Betreuung Bewerbungen zu verschicken oder für Vorstellungsgespräche zu üben. Um technischen Hürden entgegenzuwirken, verliehen wir unseren MUTis Laptops. In einem kleinen Film bekommt man einen guten Eindruck vom digitalen Arbeiten. Sobald die Inzidenzen in Hamburg geringer wurden, die Schulen wieder öffneten, holten   wir   verpasste   Veranstaltungen   nach:   Mitte   Mai   fand   ein   zweitägiger Bewerbungsmarathon statt,   Anfang   Juni   das   ausgefallen   MUT   Camp   zum Bewerbungstraining.Beide   Veranstaltungen   fanden   im   Hamburger   Dialoghaus   statt;   knapp   40 Jugendliche   nahmen   teil   und   übten   in   Workshops   am   Vormittag   für Vorstellungsgespräche   und   behandelten   das   Thema   Zukunftsängste.   Am Nachmittag wurden im Hybrid-Format digital (die  MUTivator:innen waren über Zoom   dabei)  und  analog  (die   MUTis  vor  Ort,  am   PC  sitzend)  Bewerbungen verschickt. Am letzten Tag gabs eine große Premiere: die erste „Betriebs-Messe“ fand statt, 9 Betriebe waren im Dialoghaus und sprachen mit den MUTis in Kleingruppen   über   Ausbildungsberufe,   Berufsalltag   und   sonstige Ausbildungsthemen – die Jugendlichen waren sehr angetan, die Betriebe waren es. Wieder im Hybrid-Format fand wie immer eine MUT Probe zum Abschluss des Camps   statt.   Und   all   die   Mühen   zahlen   sich   gleich   aus:   es   trudeln Vorstellungsgespräche, Praktikumseinladungen und sogar Ausbildungsplätze ein! Mein Lieblingssatz des Camps: “Ich hab grad Gänsehaut von mir selbst.” Tja, das haben wir also gemacht in den letzten Wochen und Monaten. Aber irgendwie fühlt es sich zu abstrakt an, nur von diesen Ergebnissen zu berichten.

Was ist es denn konkret, was wir da gemacht haben? Ich versuchs nochmal:

  • 38 Briefmarken auf 38 Elternbriefe geklebt
  • 120 Leporellos gefaltetet, mit 120 Stiften und 120 Post It Blöcken und
  • MUT-Trinkflaschen in 120 Pakete gepackt und an 120 Hamburger Adressen
  • verschickt
  • 12 Rücksendungen erhalten
  • 40 Laptops von der Hackerschool geliehen
  • 36 Teamsitzungen mit MUTivator:innen
  • In 160 jugendliche Augenpaare geschaut
  • 54 Kisten im Büro gepackt und in einen 7,8 Kubikmeter großen Laderaum gehieft
  • Reflexion, Reflexion, Evaluation, Reflexion
  • 8-seitige Stundenverlaufspläne für 3 komplett neue Workshops
  • geschrieben
  • 52 PowerPoint Folien gebastelt, für die Wilkommenspräsentationen
  • 452 Minuten Spotify Musik, zur Begleitung beim Büro-Aufräumen
  • 167 Pizzakartons kleingemacht
  • 365 Coronatests durchgeführt
  • 250 GB Internet in Form von WLAN Towern an Hamburger Schulen gebracht
  • 145km Kurier, zum Transport von Laptops und Computermäusen und Headsets und WLAN Towern an Schulen
  • 148 Bewerbungen verschickt
  • 25 Dankes-eMails an MUTivator:innen geschickt
  • 300 Breakout-Rooms erstellt
  • 27 teaminterne Planungs-Treffen

Aka: 24 Stunden, 7 Tage die Woche anhaltende Begeisterung und Liebe für die MUT Academy, die Jugendlichen, die MUTivator:innen und DAS TEAM.

Verfasst von: Freda von der Decken

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